Kritik aus dem Schwäbischen Tagblatt vom 04.12.2018

Wer klopft ans Tor?

Motette Für viele Konzertliebhaber unverzichtbar: Der Posaunenchor läutete vor 700 Zuhörern wieder die Adventszeit ein.

Tübingen. Alle Jahre wieder in der Stftskirchen-Motette am Vorabend des Ersten Advents eröffnet der Posaunenchor Tübingen das neue Kirchenjahr. Für viele der gut 700 Motettenbesucher ist es die unverzichtbare Einstimmung in die Vorweihnachtszeit. Gleich drei Mal hatte die Motettengemeinde Gelegenheit zum Adventslieder-Singen, im Wechsel begleitet von Posaunenchor und Orgel.

Wie um Einlass bittend

Die gut 30 Instrumente - Trompeten, Hörner, Posaunen, Baritone und Euphonium - waren diesmal in den tiefen Lagen stark besetzt, was dem Klang ein sonor tragendes Fundament gab. Zu Beginn eine festliche Intrade: „Zeremoniell“ von Matthias Nagel, Dozent für Popularmusik an der Kirchenmusikhochschule Herford. Gut ausbalanciert und durchgestuft war der Tuttiklang in der Choralfantasie „Wie soll ich dich empfangen“ des bayrischen Landeskirchenmusikdirektors Ulrich Knörr. Jazzig swingenden Gute-Laune-Sound hatte das Choralvorspiel „Tochter Zion“ von Michael Schütz, Kantor an der Berliner Trinitatiskirche. In der Choralfantasie „Macht hoch die Tür“ des Weimarer Posaunen-Professors Christian Sprenger klopfte ein pochendes Motiv immer wieder gleichsam ans Tor, wie um Einlass bittend. Posaunenchor-Leiterin Kathrin Schlecht überzeugte einmal mehr durch ihr umsichtiges und punktgenaues Dirigat. Klar und fein herausgearbeitet waren Phrasierungsbögen, Stimmverläufe und dynamische Akzentsetzungen. Das so stimmungsvolle wie abwechslungsreiche Programm wartete auch mit Werken aus Renaissance und Barock auf. Bachs Choralsatz „Zion hört die Wächter singen“ aus der Kantate „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ BWV 140 in einer Posaunenchorbearbeitung war transparent, das polyphone Stimmengewebe durchhörbar aufgefächert, der Einsatz der Choralzeilen schön gestaltet. Ein Largo des englischen Renaissance-Meisters William Byrd setzte einen archaisch strengen Ruhepunkt. Als einer der ersten brachte Hans Leo Hassler die frühbarocke venezianische Mehrchörigkeit nach Deutschland - wie hier in „Verbum caro est“ im feierlichen Wechsel von Hoch- und Tiefchor. Mit am besten gefiel die Choralfantasie „Maria durch ein Dornwald ging“ von Anne Weckeßer. Die Industriekauffrau aus Korntal-Münchingen spielt seit ihrer Kindheit Flügelhorn und Euphonium im Posaunenchor. Ihren perfekt instrumentierten Sätzen merkt man die praktische Erfahrung an. Hier begeisterten die schönen Oberstimmen, von den Trompeten glanzgekrönt.

Und zwei Klassiker

An der Weigle-Orgel streute Michael Dan eine Choralimprovisaton des Spätromantikers Sigfrid Karg-Elert über „Macht hoch die Tür“ ein - kontrastreich zwischen zwei Manualen wechselnd, kontrapunktisch wild, seelenverwandt mit einem Reger. Zum Schluss zwei beliebte Klassiker, immer wieder gern gehört in den Advents-Motetten des Posaunenchors: Andreas Hammerschmidts kraftvoll einstimmendes „Machet die Tore weit“ und Mendelssohns Doppelquartett „Denn er hat seinen Engeln befohlen" - geruhsam friedvoll ausschwingend. Achim Stricker 

Mit freundlicher Genehmigung des Autors

 

Kritik aus dem Schwäbischen Tagblatt vom 06.12.2011

Die Nacht so klar

Motette mit dem Posaunenchor

Tübingen. Über 600 Besucher lockte der Tübinger Posaunenchor unter Leitung von Martin Riehle in die Stiftskirchen-Motette zum Zweiten Advent (Liturgie: Hochschulpfarrer Michael Seibt). Wie schon bei den Advents-Auftritten des Posaunenchors in den Vorjahren blieb im voll besetzten Mittelschiff wieder kein Platz frei. Die rund 50 Bläser eröffneten in feierlich majestätischer Pracht mit dem Chorsatz „Denn die Herrlichkeit Gottes“ aus Händels „Messias“: ein klangmächtiges Ensemble aus Trompeten, Hörnern, Posaunen, Baritonen, Euphonium und Tuba. Traditionell haben die Nachwuchsbläser des Posaunenchors in der Advents-Motette ihren eigenen Auftritt. Dieses Jahr stellten sie sich mit drei hübschen „Kleinen Spielstücken“ von Landesposaunenwart Hans-Ulrich Nonnenmann vor, der an der Tübinger Kirchenmusikhochschule unterrichtet. Ganze drei Lieder durfte die Motetten-Gemeinde anstimmen, strophenweise begleitet von Bläsern und Orgel. Vorangestellt waren stimmungsvolle Choralfantasien für Posaunenchor. So untermalten Michael Schütz und auch Matthias Nagel „Es kommt ein Schiff geladen“ mit maritimen Seegang-Läufen. Auch bei zwei Choralvorspielen von Bach traten Orgel und Posaunenchor in einen Dialog: hier „Gottes Sohn ist kommen“ in festlicher Blech-Besetzung, dort „Nun komm, der Heiden Heiland“ BWV 659, das Organistin Dorothea Mohr-Sigel an der Stiftskirchenorgel spielte.
Gab es in den letztjährigen Advents-Programmen des Posaunenchor immer auch Spirituals und Poppiges, erklang diesmal ein weitgehend barockes und zeitgenössisch-symphonisches Repertoire. Anspruchsvoll war eine fünfstimmige Sonate von Johann Heinrich Schmelzer mit fugiertem Mittelteil. Drei Versus-Sätze aus Brahms‘ Motette „O Heiland, reiß die Himmel auf‘ op. 74/2 machten sich gut in Hans-Ulrich Nonnenmanns Übertragung für Blechbläser.
Eine schöne Idee war es, zwischendurch eine kleine Besetzung spielen zu lassen, so bei einer vorklassischen Pastorella von Johann Anton Kobrich mit herzhaft schmetternden Hörnern. Eins der beeindruckendsten Stücke im Programm war eine düster bildstarke Choralfantasie über „Die Nacht ist vorgedrungen“ des 1976 geborenen Weimarer Posaunen-Professors Christian Sprenger. Überhaupt scheint sich die jüngere Komponistengeneration heute verstärkt für Posaunenchor-Besetzung zu interessieren, darunter die 1973 geborene Stuttgarterin Anne Weckeßer, im Programm vertreten mit dem fünfstimmigen Bläserstück „Niemals war die Nacht so klar“ (2011).
Der Bogen schloss am Ende wieder mit Händel: In Bernd Lechlas Bearbeitung „Freue dich Welt, der Herr ist da“ wurden die Händel- Sätze „Joy to the world“ und „Tochter Zion“ zu einem regelrechten Festkonzert. Zuletzt reihten sich die Nachwuchsbläser in den Posaunenchor ein und alle stimmten gemeinsam den Schlusschor aus Saint-Saens‘ „Oratorio de Noel“ an. Achim Stricker

Mit freundlicher Genehmigung des Autors